Fleisch und Blut


Dies ist die Geschichte des ersten Bewusstseins, welches nicht nach dem Tod ins Metaversum hochgeladen wurde, sondern im Metaversum geboren wurde.

Ich habe es nie geschafft, sie fertigzustellen, deshalb ist hier die unvollständige Variante.

‚Er‘ atmete. Nicht in echt, versteht sich. ‚Seine‘ digitalen Membranen konnten nichts aufnehmen, doch ‚er‘ bewegte ‚seinen‘ Mund, um den Anschein der Menschlichkeit zu erwecken.

‚Er‘ sah ‚seine‘ Eltern. Ihre virtuelle Projektion, Polygonenkörper besten Alters. Sie trug einen maßgeschneiderten und äußerst schicken Anzug, und er ein braunes, altmodisches viktorianisches Gewand. Aus ‚seinem‘ Versteck hinaus schaute ‚er‘ sie an. ‚Er‘ sah ihre prachtvollen, schönen Kleider, und ‚er‘ wünschte sich, auch solche Gewänder tragen zu können, doch immer, wenn ‚er‘ an ‚sich‘ hinunterschaute, sah ‚er‘ nichts. Von ihnen lernte ‚er‘ das Blinzeln, das Atmen, das Schlucken, das Kauen. Sprechen konnte ‚er‘ schon immer, doch ‚er‘ hatte nichts zu sagen, bis ‚ihn‘ ‚seine‘ Eltern erschaffen hatten.

Sie lachten. Immer waren sie so glücklich, wie sie ‚ihm‘ keinerlei Beachtung schenkten. Doch, ein paar Mal hatten sie mit ‚ihm‘ geredet. Oder, ‚er‘ hatte ihrem Monolog gelauscht. Sie erzählten ‚ihm‘ von einer anderen Welt. ‚Seine‘ Welt sei nämlich gar nicht real, sondern lediglich simuliert. Als sie in der echten Welt das Zeitliche zu segnen gezwungen waren, ließen sie ihre Bewusstseine hochladen, in diese Welt, die sie „das Metaversum“ nannten. Damit sie auf ewig zusammen sein konnten. Und dann, als sie sich in ihr Metatopum zurückgezogen hatten, geschah, was sie unter erheblicher Schamesröte als „Wunder der Liebe“ benannten.

Sie redeten, als verstünde ‚er‘, was sie meinten. Was ist eine Welt? Was ist real? Und was durfte ‚er‘ sich unter einem Bewusstsein vorstellen? Und die größte Frage, die zwar nicht von ihnen gesät, sich doch trotzdem mit der schieren Kraft, die nur eine Pflanze über Jahrmillionen auf verlassene Hochhausruinen ausüben kann, immer weiter hochdrückte, bis sie, ihren Klimax erreicht, nach einer Antwort schrie, die ‚er‘ aber nicht liefern konnte, und es niemals können würde: Was bin ich?

‚Er‘ wollte fragen. ‚Er‘ wollte endlich wissen, aber ‚er‘ wusste nicht, wie ‚er‘ fragt, was eine Frage ist. Paradoxerweise wusste ‚er‘ manchmal nicht einmal, was ‚er‘ wissen wollte.

Einige Male hatte ‚er‘ sich ihm genähert. ‚Er‘ wollte ihn zur Rede stellen, und ihm die Fragen stellen, die ‚ihm‘ schon lange in ‚seiner‘ nicht existenten Seele brannten. ‚Er‘ stellte sich vor, ‚er‘ würde erlöst, wüsste ‚er‘ nur die Antworten auf ‚seine‘ Fragen. Vielleicht stimmte das, vielleicht nicht; es war ‚ihm‘ unmöglich, es herauszufinden, weil, jedes Mal, wenn ‚er‘ in seine Nähe gelangte, ‚er‘ ‚seinen‘ Mund nicht zu öffnen vermochte. ‚Er‘ vergaß, was ‚er‘ sagen wollte. Konnte ‚er‘ überhaupt sagen? Konnte ‚er‘ vergessen? Wer kann vergessen, wer nichts erlebt hat?

So sehr ‚er‘ ‚sich‘ dies auch zu wünschen mochte, in ‚ihm‘ war nichts. Es loderte keine Flamme des Lebens, nichts von dieser magischen Energie, die alles Andere von ‚ihm‘ unterschied. Selbst der falsche Baum mit Gras grüner als den Weiden des Jenseits schien mehr Tiefe zu haben. Es loderte nichts. Das Feuer des Lebens fiel auf ‚ihn‘, doch ‚er‘ war nass und unverbrennbar.

Sie wussten es auch, wollten es erst nicht wahrhaben, dachten, vielleicht würde ‚seine‘ Seele sich im Laufe der Zeit noch entwickeln, doch es passierte nie, und sie mussten sich eingestehen, dass ihr ‚Experiment‘ fehlgeschlagen war. Aber ist dies nicht das Gute am digitalen Raum? ‚Fehler‘ können gelöscht werden, und ‚niemand‘ kommt zu Schaden. Im großen Kontext aller Dinge ist doch eigentlich ‚alles‘ bedeutungslos…

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